Biografie
Als Maler und Kunsthandwerker sucht Vincent de Boer nach Poesie und Nuancen in der kalligrafischen Linie. Er lotet die Grenzen der Sprache aus, indem er sich die Frage stellt: Kann man mit einem einzigen Buchstaben eine ganze Geschichte erzählen? Ein Universum, das sich in einer Linie öffnet? Angetrieben von der Faszination für die Spuren, die eine Bewegung hinterlässt, erkundet Vincent seine selbst auferlegten technischen Herausforderungen. Während Kalligrafie in erster Linie als textuelles Werkzeug bekannt ist, interessiert sich Vincent mehr für die mystischen Widersprüche, die in ihr verborgen sind, wie die Tiefe einer flachen Oberfläche, transzendentale Zeit und schwer fassbare Taktilität.
Wenn man mit Tinte eine Linie zeichnet, entsteht eine Trennung. Die schwarze Tinte teilt das weiße Papier in zwei Hälften. Was man schafft – eine schwarze Linie – ist genauso wichtig wie das, was man nicht schafft: der weiße Raum, der sie umgibt. Kalligrafie und ihr künstlerischer Prozess werden so zu universellen Metaphern für Beständigkeit und deren Fehlen: Die Wirkung einer Handlung ist unumkehrbar. Eine Linie schafft Gegensätze und verlangt eine Entscheidung: links oder rechts, ja oder nein, eins oder null. Die Linie zeigt aber auch, dass zwischen zwei Extremen vieles möglich ist; die Energie, mit der die Linie gezogen wird, macht den Unterschied. Die heutige visuelle Kultur erfordert kaum Vorstellungskraft: Das meiste ist unmittelbar und offensichtlich, ohne Raum für Mehrdeutigkeiten oder Nuancen. Aber was geschieht zwischen den Einsen und Nullen? Im Bruchteil einer Sekunde entfaltet sich eine ganze Geschichte in Schwarzweiß.